1.- Ein eigenes Zivilrecht der Balearen?

Das spanische Zivilgesetzbuch (Código Civil) ist nicht in allen seinen Teilen für das gesamte Staatsgebiet Spaniens anwendbar. Vielmehr gelten in bestimmten Gebieten seit Jahrhunderten verschiedene nebeneinander und gleichsam geltende Zivilrechtssysteme (das der Balearen, Aragons, Kataloniens, des Baskenlandes, Navarras, Galiziens und das kastilischen Zivilgesetz), die vom CC in Teilen abweichen und auf die dort erfassten Sachverhalte vorrangig anzuwenden sind. 

2.- Welche Besonderheiten weist das Zivilrecht der Balearen auf?

Das Zivilrecht der Balearen hat sich durch die Jahrhunderte alte Geschichte der Inseln bis zu seiner heutigen Fassung entwickelt und wurde durch vom Parlament der Balearen immer wieder erweitert und modifiziert. Es regelt derzeit wichtige Bereiche des Privatlebens und enthält somit für die Balearen spezifische Regelungen für z.B. Erbschaften, zum ehelichen Güterstand etc.

3 – Welche Bedeutung hat das neu verabschiedete Erbrecht?

Die autonome Gemeinschaft der Balearen verfügt über in der spanischen Verfassung und im Autonomiestatus festgeschriebene Befugnisse zur Erhaltung, Änderung und Weiterentwicklung ihres eigenen Zivilrechts (Art. 149.1.8 der Verfassung und 30.27 des Statuts der Autonomen Gemeinschaft der Balearen).

Bisher war das Balearische Parlament trotz dieser weitreichenden Kompetenzen bei Reformen der bestehenden Gesetzgebung oder der Verabschiedung neuer Gesetze eher zurückhaltend, ganz im Gegensatz zu anderen autonomen Gemeinschaften mit ebensolchen zivilrechtlichen Befugnissen.

Mit dem jetzt verabschiedeten neuen Gesetz zum Erbrecht wird zum ersten Mal das Balearische Zivilrecht nicht nur geändert sondern auch weiterentwickelt (von einer dreizehn Artikel umfassenden Zusammenstellung zu einem aus 80 Artikeln bestehenden Gesetz).

4.- Was sind Nachlassvereinbarungen?

Eine Erbschaft kann auf drei Arten geregelt werden: durch ein Testament, durch die gesetzliche Erbfolge (wenn kein Testament vorhanden ist) oder durch einen Erbvertrag.

Das Balearische Zivilrecht sieht nun vor, dass das Erbe mittels verschiedener Formen von Erbverträgen entweder ganz oder teilweise bereits zu Lebzeiten übertragen werden kann. Dies ist zweifellos ein ganz besonderes Merkmal des Zivilrechts der Balearen, denn das spanische Zivilgesetz sieht dies nicht nur nicht vor, sondern verbietet es sogar ausdrücklich.

5.- Warum sind Nachlassvereinbarungen so sinnvoll?

Es gibt viele Gründe für eine Nachlassvereinbarung, so z.B.:

  • Oft wollen Eltern ihren Kindern helfen, ihr Leben auf eigene Beine zu stellen, eine Wohnung zu kaufen, ein Unternehmen zu gründen oder ein Darlehen zu tilgen…Zu bedenken ist dabei, dass die Lebenserwartung heutzutage wesentlich höher ist und die erbenden Kinder bei Eintritt des Erbfalls bereist selber in höherem Alter sind. Es scheint daher sinnvoller bereits bei Eintritt ins Erwachsenenalter finanzielle Hilfe der Eltern zu erhalten, dann wenn diese Hilfe besonders benötigt wird.
  • Andererseits gibt es viele Fälle von älteren Menschen, die ihr Vermögen nicht mehr verwalten wollen oder können, die sich nicht mehr um die Verwaltung von Mietwohnungen, die Nutzung landwirtschaftlicher Betriebe o.ä. kümmern wollen und die Verantwortung dafür lieber in die Hände ihrer jüngeren Nachkommen legen. 
  • Denkbar wäre auch der Fall einer Person die eine schwere degenerative Krankheit hat und weiß, dass sie in den nächsten Jahren nicht mehr handlungsfähig sein wird. In diesem Fall kann es mitunter sinnvoll sein, einen Teil ihres Vermögens an diejenigen zu übertragen, die sich um die kranke Person kümmern müssen, und zu vermeiden, dass jedwede Verfügung über das Vermögen gerichtlich autorisiert werden muss. 
  • Und schließlich werden bei einer Vereinbarung über das Erbe die oftmals aggressiven, langwierigen und kostspieligen Erbstreitigkeiten in der Familie vermieden. 

6.- Woher kommt der plötzliche Boom bei Nachlassvereinbarungen?

In der Vergangenheit waren derartige Nachlassvereinbarung in steuerlicher Hinsicht benachteiligt. Nachlassübertragungen zu Lebzeiten des Erblassers wurden nicht als solche, sondern als Schenkungen besteuert. Zurückzuführen ist diese steuerliche Behandlung von Nachlassvereinbarungen wohl auf die oben erwähnte Tatsache, dass diese im spanischen Zivilrecht ausdrücklich verboten sind, wobei außer Acht gelassen wurde, dass, wie oben beschrieben, spezifische regional beschränkte Regelungen zur Nachlassplanung durchaus bestanden. 

Die erheblichen steuerlichen Nachteile liegen hier auf der Hand, sowohl für den Schenkenden (respektive Erblasser) als auch für den Beschenkten (Erben). Zum einen sind die Steuern für Schenkungen oft höher als für Erbschaften, insbesondere hervorzuheben ist hier aber zum anderen die bei Schenkungen, anders als bei Erbschaften, für den Schenkenden u.U. anfallende Einkommensteuer, zu zahlen auf den Wertzuwachs der zu verschenkenden Gutes zwischen dessen Anschaffung durch den Schenkenden und dem Zeitpunkt der Schenkung.

Diese Betrachtungsweise hat sich nun durch ein Urteil des Obersten Gerichts vom 09. März 2016 (hier in Zusammenhang mit einem der Balearischen Nachlassplanung ähnlichen Model Galiziens) geändert und das Urteil wurde auch für die Balearischen Nachfolgevereinbarungen als anwendbar angesehen, somit sind diese Nachlassplanungen nun nicht mehr steuerlich benachteiligt und finden somit immer mehr Anwendung. 

7.- Warum war das neue Balearische Gesetz notwendig?

Steigende Beliebtheit von Erbverträgen traf auf spärliche gesetzliche Regelung und fehlende Doktrin und Rechtsprechung was zu hoher Rechtsunsicherheit führte, insbesondere bei Fragen zur Widerrufbarkeit, der Situation von minderjährigen Beschenkten etc. Somit landeten Streitigkeiten zu Erbverträgen die zu Lebzeiten des Erblassers geschlossen worden waren,  nicht selten vor Gericht. 

Folglich war es notwendig und naheliegend, das bereits bestehende Gesetz dazu weiterzuentwickeln und an die Erfordernisse der modernen Gesellschaft der Balearen im 21. Jahrhundert anzupassen, um den juristischen Akteuren und den Verwaltungen (insbesondere den Steuerbehörden) rechtliche Instrumente zur Verfügung zu stellen.

8.- Welche Ziele werden mit dem Gesetz verfolgt?

Wie bereits gesagt, soll das Erbrecht einerseits modernisiert und aktualisiert und andererseits flexibler gestaltet werden, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bevölkerung in erblichen Fragen Rechnung tragen zu können und diesen mehr Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. 

9.- Ist das Gesetz für jede Balearen- Insel gleich?

Nein. Die Realität auf den Inseln bestimmt auch hier die rechtliche Realität. Das Balearische Zivilgesetz besteht aus drei Büchern- eines jeweils für Mallorca und Menorca sowie eines für Ibiza und Formentera. So hat z.B. das Zivilrecht der Inseln Ibiza und Formentera seinen ganz eigenen Charakter und seine eigenen Grundsätze, insbesondere im Erbrecht. 

10.- Welche Formen der Nachlassplanung gibt es für die verschiedenen Inseln?

MALLORCA UND MENORCA

„DONACIÓN UNIVERSAL“ 

Der Schenkende überträgt das Vermögen an den Beschenkten und setzt diesen als Universalerben ein.  

„DEFINICION LIMITADA A LA LEGITIMA“. 

Der Begünstigte verzichtet auf seinen Pflichtteilsanspruch als Gegenleistung für die Schenkung oder Zuwendung. Dies ist zweifellos die häufigste Variante der Nachlassplanung.

„DEFINICIÓN ÁMPLIA“

Der Begünstigte verzichtet auf jedwedes Recht aus dem Erbe als Gegenleistung für die Schenkung oder Zuwendung, (einschließlich auf den Pflichtteilsanspruch, sofern er nicht bereits vorher darauf verzichtet hat).

IBIZA UND FORMENTERA

„PACTO DE INSTITUCIÓN A TÍTULO UNIVERSAL“ 

Sie verleihen der eingesetzten Person die Eigenschaft eines Erben und können mit oder ohne Übertragung von Vermögenswerten erfolgen.

„PACTO DE INSTITUCIÓN A TÍTULO SINGULAR“ 

Sie verleihen der eingesetzten Person die Stellung eines Vermächtnisnehmers und können mit oder ohne Übertragung von Vermögenswerten erfolgen.

„FINIQUITO DE LEGITIMA GENERAL“

Der Begünstigte verzichtet auf seinen Pflichtteilsanspruch als Gegenleistung für die Schenkung oder Zuwendung.

„FINIQUITO DE LEGITIMA ESPECIAL“

Der Begünstigte verzichtet auf Den Pflichtteilsanspruch lediglich in Bezug auf einen Teil des Vermögens des Erblassers als Gegenleistung für die Schenkung oder Zuwendung.

11.- Und was hat sich für ausländische Bewohner der Balearen geändert?

Die gemäß einiger Urteile und Rechtsprechung vormals für die Errichtung eines Erbvertrages notwendige Voraussetzung der „vecindad civil balear“, also des Balearische Bürgerstatus, den per se nur Personen mit spanischer Nationalität erlangen konnten, wurde gestrichen.

Dies war jedoch nicht das einzige Argument weshalb es vormals den ausländischen Bürgern der Balearen verwehrt war, Erbverträge zu errichten. 

Allgemeinhin wurde Artikel 36 der Europäischen Erbrechtsverordnung 650/2012 so ausgelegt, dass für im Ausland ansässige Personen in jedem Fall das allgemein gültige Zivilrecht, in unserem Fall also der spanische „Código Ciivil“ und nicht das regionale Balearische Zivilrecht zur Anwendung kommt. Wie wir vorher bereits festgestellt haben, sind in diesem spanischen Zivilrecht Erbverträge nicht vorgesehen und somit für ausländische Bürger nicht möglich.  Diese Auslegung wurde durch das Urteil des Obersten Balearischen Gerichtshofes 1/2021 vom 25. Januar 2021 verworfen, Erbverträge auch für ausländische Bewohner der Balearen schienen somit möglich zu werden und die Debatte beendet.  Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Beschluss der Generaldirektion für Rechtssicherheit vom 20. Januar 2022 den oben erwähnten Artikel 36 der Europäischen Erbrechtsverordnung dahingehend uminterpretiert hat, als dass die Anwendung eines Gesetzes, das nicht aus dem spanischen „Codigo Civil“ stammt, für einen auf den Inseln ansässigen Ausländer nicht zulässig ist. Bei der Eintragung eines Erbvertrages im Grundbuch kann es also mitunter zu Problemen kommen.  Ausländische Ortsansässige sollten also unbedingt vor der Erstellung eines Erbvertrages umfänglich professionellen Rat einholen. 

12.- Wann tritt da neue Gesetz in Kraft?

Zwei Monate nach seiner Veröffentlichung im offiziellen Amtsblatt der Balearen (BOIB).